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Agenturleben
Zeitenwandel

Video ist das neue Telefon: Der Snoopy-Schlafanzug

Workshops zum Ankreuzen. Rote, gelbe und grüne Kollegen. Und eine betriebliche Ersthelferin im Snoopy-Schlafanzug. Wie Corona mein Agenturleben verändert hat.

Moodbild mit Laptop
Sticky notes

Lars allein im Büro. Wie immer zuerst das tägliche Daily: Sarah mit Malibu-Hintergrund, Vali vor dem rumänischen Bambuswald-Raumtrenner, Simone halb im geöffneten Kleiderschrank. Ein Katzenschwanz streichelt Martinas Nase, Michi spricht mit der Ecke rechts unten. Heute wieder kein Ratsch an der Kaffeemaschine. Kein »Chrissi, wieder sieben Weißwürste?« quer durch den Raum. Dafür konzentriertes Arbeiten ohne Kopfhörer. Der Mittag ist da, und mit ihm Kollege Hunger. Ich nehme mein Festnetztelefon in die Hand. Die ersten drei Vorschläge der Wahlwiederholung: »Saigon Imbiss«, »Ekam Indisch«, »Pizza Mozzamo«.

Kein Kunde darunter.

Auf Platz vier Andreas, Marketingmann eines Kunden, vor drei Wochen hatte ich versucht, ihn telefonisch zu erreichen. Wie naiv von mir. Natürlich blieb es beim Versuch. Er rief mich per Videocall in Teams zurück, noch bevor ich das Festnetztelefon wieder in die Ladestation stellen konnte. Er saß da im St.Pauli-Trikot, neben ihm sein Sohn beim Home Schooling am Zweitrechner.

Ich liebe die Einblicke, die all die Videokonferenzen gewähren. Ein Vertriebsleiter vor dem Planschbecken seiner Kinder, der stolz die Kamera durch seinen Garten schwenkt. Eine Marketingdame auf ihrem Ehebett, die entgeistert von ihrer minutiös geplanten und dann doch verschobenen Hochzeit im vergangenen Sommer berichtet. Ein Senior Consulter, dessen Siebenjähriger kurz mal auf Papas Schoß sitzen möchte und fragt, wann er endlich wieder mitspiele. Ein Geschäftsführer mit Akustikgitarren im Wohnzimmer, der begeistert von seinen Barré-Akkorden erzählt. Ein junger Firmengründer, der von einem Arm durch den Türspalt ein Stück Kuchen gereicht bekommt und es gerade noch vor seinem hereinschießenden Hund retten kann.

Darin muss eine höhere Botschaft versteckt sein. Was möchte mir das Leben damit zeigen? Vielleicht Echtes im digitalisierten Alltag. Den Menschen hinter dem Schleier der Professionalität.

Nähe in einer distanzierten Zeit.

An eine der Videokonferenzen erinnere ich mich besonders gut. Nämlich deshalb, weil eine HR-Dame ihre Kamera aus ließ und daraufhin die lustige Vermutung im Raum stand, sie habe ihren Snoopy-Schlafanzug noch an. Aus dem Snoopy-Schlafanzug wurde ein Running Gag. Irgendwann schrieb sie mir in Teams, während sie gerade ein Seminar zur betrieblichen Ersthelferin absolvierte. Es ging bloß um eine Terminvereinbarung, aber am Ende des Schriftwechsels scherzte sie selbst, dass wir uns beim Termin wahrscheinlich nur hören werden… »Snoopy und so«, meinte sie.

Kompensieren können all die Schlafzimmer, Kellerräume und Haustiere den verlorenen Vollkontakt nicht. Den Handschlag, die Umarmung, den direkten Blick. Den »Stallgeruch« der Unternehmen, die wir besuchen dürfen. Das vertraute Hey von Kunden, die gern zur Besprechung mal eben schnell zu uns kommen. Die neugierigen Blicke von Gästen, die zum ersten Mal bei uns sind. Das Zigarettengespräch der letzten Mutigen. Die Frage: »Wie magst du deinen Kaffee?« Sich gemeinsam verschanzen, abtauchen, grübeln. Verschiedenste Menschen in einem Raum, die miteinander lachen, ohne dass Teams nur eine einzige Audiospur zulässt.

Und doch.

Ich habe auch etwas hinzugewonnen. Damit meine ich nicht die offensichtlichen Zugewinne wie Home-Office, gesparte Fahrzeiten oder die unsichtbare Jogginghose unterhalb des Kameraausschnitts. Damit meine ich auch nicht die Rot/Gelb/Grün-Kennzeichnung in Teams, an der man ablesen können soll, wie gesprächswillig ein Kollege gerade ist. Ich meine etwas anderes: Vertrauen. Vertrauen in die Kunden da draußen — und die Kunden da draußen in mich. Geht ja gar nicht anders. Aber geht total gut.

Vertrauen darin, dass jeder was kann und jeder was will. Und sich jeder etwas einfallen lässt, damit es vorangeht. Wir selbst haben einige unserer Workshopmethoden zu Formularen umgearbeitet. So können unsere Kunden beispielsweise zu Beginn einer Markenentwicklung daheim ihre Kreuze machen, und wir haben eine prima Arbeitsgrundlage. Für gezielte Gespräche, für vertiefende Analysen zur Positionierung im Wettbewerb, für die Erstellung von Designkriterien.

Ich freu mich schon auf »danach«. Auf die Postmoderne des Agenturlebens. Wenn die alte Professionalität durch den neuen Mut zum Privaten aufgelockert wird. Wenn es normal ist, dass Kinder neugierig in die Kamera gucken. Wenn sich die Wahrnehmungsgrenze ein Stückchen von Position zu Person verschiebt und mir ganzere Menschen gegenüberstehen.

Was meint ihr: Ob ich der HR-Dame einen Snoopy-Schlafanzug schenke? Einfach des gemeinsamen Lachens wegen. Oder wäre das trotz verschobener Grenze etwas zu privat?

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